Nachgefragt bei… Dr. Julia Hillebrandt, CEO Klinik Lengg AG

Rückblick 2021: Was war Ihr „Main take away“ aus dem letzten Jahr?

Mein zentrales Take away aus dem 2021 ist die gefestigte Erfahrung, wie eine Klinik durch anhaltende Krisen zu führen ist: mit Ruhe und Besonnenheit. Ich war bestrebt, die Klinik Lengg konzentriert durch die teilweise stürmischen Wellen der Pandemie zu navigieren. Im Kern bedeutet dies für mich, sich fokussieren zu können und sich nicht durch die täglich überschlagenden News beirren oder in Versuchung führen zu lassen. Konzentration auf das Wesentliche schafft Klarheit und Vertrauen. Und ganz wichtig, Fokus schafft Freiräume zur Weiterentwicklung. So konnten wir im Jahr 2021 wichtige Qualitätsinitiativen umsetzen, ein Wachstumsprojekt initiieren und wegweisenden Innovationen Auftrieb verleihen. Wir sind stolz, neben dem geglückten Pandemie-Management auch ein Rekordjahr hinsichtlich unserer Fallzahlen zu verzeichnen. Diese Bilanz haben wir erreicht, indem wir uns konsequent auf unser Kerngeschäft und unsere Patientinnen und Patienten konzentriert haben.

 

Julia Hillebrandt

 

Wo sehen Sie 2022 die grössten strategischen Herausforderungen in Ihrer Branche und Ihrem Unternehmen?

Der Fachkräftemangel ist ganz klar eine grosse strategische Herausforderung für die gesamte Branche. Dieser wird sich zukünftig weiter akzentuieren. Gerade am Standort Zürich haben wir aufgrund diverser renommierter Kliniken eine hohe Attraktivität und es drängen neue zusätzliche Player in diesen Markt. Die Konzentration von Spitälern verstärkt die Konkurrenz um Talente, wodurch zum Teil hohe Fremdkosten entstehen, da kritische Vakanzen oftmals nur mit externen Personaldienstleistern besetzt werden können. Darüber hinaus nimmt die Breite medizinischer Angebote durch die zunehmende Spezialisierung weiter zu, was den Nachfrageüberhang nach knappen Spezialfachkräften ebenfalls vergrössert.

Als weitere zentrale Herausforderung sehe ich die erhöhte Konkurrenz durch weitere Rehabilitationskliniken auf dem Platz Zürich, welche die Spitalplanung 2023 speziell im Bereich der Neurorehabilitation mit sich bringen wird. Momentan beträgt die neurorehabilitative Versorgungsabdeckung im Kanton Zürich nur 35%. Etablierte Rehabilitationskonzerne schaffen nun zusätzliche Kapazitäten in der Stadt und im Kanton Zürich, was die Konkurrenzsituation erheblich verschärfen wird. Den zunehmenden Wettbewerb, sowohl um Talente als auch um Patientinnen und Patienten sehe ich insgesamt als positiv, da dieser eine höhere Effizienz und Qualität in der Versorgung hervorbringen wird.

Eine weitere Herausforderung verorte ich in der Digitalisierung und dem technischen Fortschritt. Die gesamte Branche ist noch längst nicht da, wo sie sein sollte. Ich denke dabei vor allem an die elektronische Patientenakte, aber auch an ICT Security und weitere Digitalisierungsthemen. Gerade für uns als kleineres Spital ist es eine grosse Herausforderung Schritt zu halten, da die Digitalisierungsinitiativen aufgrund der Komplexität unserer Branche und der Sensibilität der Daten sehr aufwendig und kostspielig sind. 

 

Was sind die neuen Herausforderungen an Führungspersönlichkeiten vor diesem Hintergrund?

Als wichtigste Anforderung an Führungspersönlichkeiten sehe ich den konsequenten Fokus auf Innovation und Qualität, damit sich sowohl die Patientinnen und Patienten als auch die Talente für uns entscheiden. Behandlungsangebote stetig zu hinterfragen und zu erweitern und als Pionier in Zukunftsthemen zu agieren, halte ich mit dem Ziel einer langfristig erfolgreichen Positionierung in der Spitalszene für essentiell. In der Klinik Lengg haben wir aktuell mit dem Fahrsimulator zur Stärkung unserer Verkehrsmedizin, mit der Anschaffung des Gang- und Gleichgewichtstrainings C-Mill für unser neues Gangzentrum Zürich, mit dem High Density EEG und der Etablierung als First Seizure Clinic innovative Akzente gesetzt.

Ein weiterer Fokus der Anstrengungen von Führungspersönlichkeiten ist die Steigerung der Ergebnisqualität der medizinischen Dienstleistungen, zusätzlich zu der Struktur- und Prozessqualität eines Spitals. Als Leistungserbringer werden wir neben den Wirtschaftlichkeitskriterien zunehmend an Qualitätskriterien gemessen, welche auf nationaler Ebene definiert werden und entsprechend in Qualitätsverträgen zwischen Leistungserbringern und Krankenversicherern vereinbart werden. Zunehmend werden nicht mehr Einzelleistungen von wenigen Experten massgeblich sein, sondern Teamleistungen und ganzheitliche, auf den einzelnen Patienten und die einzelne Patientin abgestimmte Therapien, welche die langfristige Verbesserung der Lebensqualität ins Zentrum stellen. Das erfordert ein Umdenken, gerade in hierarchisch geführten Kliniken, was bei uns zum Glück nicht mehr der Fall ist. An der Klinik Lengg etablieren wir bereits PROMs (patient reported outcome measures), um die von unseren Patientinnen und Patienten wahrgenommene Lebensqualität vor, während und nach der Behandlung messen zu können und unsere Behandlungen auf Basis der Resultate kontinuierlich weiterqualifizieren zu können.


Was sind nach Ihrer Meinung DIE zentralen strategischen Erfolgsfaktoren in den kommenden Jahren?

Die zentralen strategischen Erfolgsfaktoren eines Spitals in den kommenden Jahren sind meiner Meinung nach ein konsequenter Fokus auf Qualität, Innovation, wie bereits geschildert, und Zusammenarbeit. Die interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit, auch vertikal integriert, wird in der Patientenversorgung ein zentraler Erfolgsfaktor sein, worauf wir schon seit Längerem sehr viel Wert legen. Die vertikale Integration der Versorgung hat zum Ziel, Sektor übergreifend entlang des Behandlungspfades zu vernetzen, zum Beispiel zwischen einer operierenden Klinik und einer nachgelagerten Rehaklinik. Die Zusammenarbeit spielt zudem nicht nur in der Versorgung und für die Behandlungsqualität eine zentrale Rolle, sondern auch für die Attraktivität als Arbeitgeber. Gerade die jungen Mitarbeitenden wollen Teil eines Teams und damit einer Teamleistung sein, wodurch Kompetenzen fallbasiert gebündelt werden, was zu besseren Ergebnissen in der Versorgung und höheren Lerneffekten bei allen Team-Mitgliedern führt.