Nachgefragt bei… Dr. med. Daniel Strub

Dr. med. Daniel Strub, CEO, Spital Muri

Rückblick 2020: Was war Ihr „Main take away“ aus dem letzten Jahr?

Die erste pandemische Welle war für unser Spital ein Szenario mit vielen unerwarteten Ereignissen, einem permanent unvollständigen Lagebild und grosser Unsicherheit bezüglich der zu erwartenden Lageentwicklung. Unsicherheit und Angst haben sich auch im Spital breit gemacht. Die operative Spitalführung lag in dieser Zeit in den Händen eines Krisenstabes, der täglich zusammen kam, als Führungsorgan den Spitalbetrieb aufrecht erhielt und die Kommunikation in alle Richtungen gewährleistete. 

 

Daniel Strub

 

Dies hat uns vor Augen geführt, wie wichtig betriebliche Vorbereitungen und eine geeignete Führungsorganisation für den Krisenfall sind. Auch die Wichtigkeit eines kontinuierlichen Informationsflusses von der Führung zu den Mitarbeitern trat deutlich zu Tage. Kommunikation ist eine vertrauensbildende Massnahme und dient in der Krise das Aufrechterhalten der Arbeitsmotiviation und der Steigerung der Resilienz des einzelnen Mitarbeitenden in Belastungssituationen.

 

Wo sehen Sie 2021 die grössten strategischen Herausforderungen in Ihrer Branche und Ihrem Unternehmen? 

In meinem Unternehmen (Akutspital) und mutmasslich im ganzen Gesundheitswesen liegt 2021 wie auch in den Folgejahren die grösste strategische Herausforderung darin, sich in einem von Bund und Kanton überregulierten Umfeld mit gewollt nicht kostendeckenden Tarifen zu behaupten und mit geeigneten Massnahmen die langfristige eigene Existenz zu sichern.

Weder die im stationären Bereich erwirtschafteten Fallpauschalen noch der ambulante Tarif TARMED sind in der Grundversorgung kostendeckend – auch für effizient arbeitende Spitäler mit optimierten Prozessen nicht. Das Eigenkapital vieler Schweizer Spitäler nimmt kontinuierlich ab, da die Kosten der erbrachten Dienstleistungen durch die Tarife nur ungenügend gedeckt werden. Eine Defizitgarantie durch die Kantone gibt es indes seit bald 20 Jahren nicht mehr. Um langfristig zu existieren, ist auch in einem Spital Gewinn notwendig. Nur mit ausreichender Rendite können marktgerechte Löhne bezahlt, medizinische Geräte modernisiert und die Immobilien unterhalten werden. 

Dass die Politik dies nicht wahrhaben will, zeigen politische Sparvorhaben wie die aktuell geplante Revision der Verordnung über die Krankenversicherung. Hat diese Revision Erfolg, zeigt der geplante Art. 59c zur Tarifgestaltung, wohin der Weg führen soll: Der neue Tarif darf höchstens die für eine effiziente Leistungserbringung erforderlichen Kosten decken. Ein Tarif, der nur gerade die Kosten der Leistungserbringung deckt, führt in der Erfolgsrechnung zu einer schwarzen Null. Die aktuelle Politik lässt ausser Acht, dass ein Betrieb ohne Rendite nicht überleben kann. Gleichzeitig fordern dieselben Politiker, dass öffentliche Leistungsaufträge nur an wirtschaftlich arbeitende Spitäler vergeben werden sollen. Als Wirtschaftlichkeitskriterium wird eine minimale EBITDA Marge von 10% genannt.

 

Was sind die neuen Herausforderungen an Führungspersönlichkeiten vor diesem Hintergrund?

Neue Herausforderungen liegen im Bereich der Personalführung. Die stark einschränkenden Verhaltensregeln zur Eindämmung der Pandemie und der erneute Lockdown schädigen nicht nur die Wirtschaft und zerstören Existenzen. Sie verursachen bei den vielen Mitarbeitenden auch zunehmend Zukunfts- und Existenzängste.

Solche Mitarbeitende sind weniger belastbar, weniger leistungsfähig, krankheitsanfälliger und brauchen mehr Zuwendung, Führung und Orientierung. Die Kenntnis über den Zustand des sozialen Umfeldes des Mitarbeitenden (COVID-Todesfall, Jobverlust, Existenzverlust, etc.) und häufigere persönliche Gespräche mit den Mitarbeitenden zu deren Befinden und allfälligen Ängsten werden Führungspersonen zunehmend wichtiger. Im privaten und im öffentlichen Raum bestehen in der Zwischenzeit so viele soziale Einschränkungen, dass den sozialen Kontakten am Arbeitsplatz eine höhere Wichtigkeit zukommt als noch vor Jahresfrist.

Führungspersonen im Gesundheitswesen brauchen für den langfristigen Erfolg Geduld, Gelassenheit, Widerstandskraft, Optimismus und viel betriebliches Eigenkapital.

Geduld mit der Politik und den damit verbundenen langwierigen, iterativen und oftmals erratischen Prozessen. Gelassenheit bei finanziellen Defiziten, da diese politisch gewollt und auch durch die besten Führungspersonen kaum verhindert werden können. Widerstandskraft, um trotz der nationalen Gesundheitspolitik weiterhin mit Freude zur Arbeit zu gehen. Optimismus, um den Glauben daran zu bewahren, dass nach den nächsten Wahlen alles – insbesondere die Tarife – besser werden und genügend Eigenkapital, um die Zeit auszusitzen, bis die Tarife wieder in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten der Leistungserbringung stehen.

 

Was sind nach Ihrer Meinung DIE zentralen strategischen Erfolgsfaktoren in den kommenden Jahren?

Das Spital Muri ist für die kommenden Jahre dann gut aufgestellt, wenn es uns gelingt, durch eine nachhaltige Effizienzsteigerung die Kosten der Leistungerbringung zu senken und gleichzeitig ein signifikantes Wachstum der Fallzahlen herbeizuführen. Höhere Fallzahlen bewirken bei den Fallkosten eine Reduktion des Fixkostenanteils, was bei tariflich ungenügend vergüteten Leistungen immerhin den Deckungsbeitrag erhöht.

Um dies zu erreichen, sind eine agil führbare Organisation (Governance), qualifizierte, zufriedene und leistungsbereite Mitarbeitende sowie eine moderne und prozessorientierte Infrastruktur notwendig. Diese betriebseigenen Potentiale gilt es zu entwickeln und bestmöglich zu nutzen.