Wenn ein akademisches Konzept seinen Weg in den Wirtschaftsalltag findet, dann gibt es häufig drei Lager – die euphorischen Unterstützer, die kritischen Widersacher und die leise Mehrheit, die mehr oder weniger interessiert und in sicherer Distanz vom Zuschauerrand aus abwartet.

Wie im letzten Artikel besprochen, geistert der Begriff «Ökosysteme» seit bereits fast 30 Jahren in den Wirtschaftswissenschaften umher. Seither wurde der Begriff von den verschiedensten Akademikern aufgenommen und hat besonders mit der intensivierten Diskussion um die Kreislaufwirtschaft wieder an Popularität gewonnen. Ist Ökosystemen der Sprung vom Papier in den Wirtschaftsalltag aber tatsächlich gelungen?

Nun was anfangs der 90er in diesem Ausmass noch nicht absehbar war, ist der heutige Stand der Digitalisierung. Diese hat die Koordinationskosten innerhalb und zwischen Unternehmen drastisch gesenkt und vereinfacht. Zur selben Zeit hat die Digitalisierung aber auch dazu geführt, dass die Erstellung von Wertangeboten anspruchsvoller geworden ist. Ein tolles Produkt oder eine tolle Dienstleistung an sich ist kein Garant mehr für wirtschaftlichen Erfolg. Unternehmen müssen aktuell immer mehr über ihre Komfortzone bzw. ihr Kernbusiness hinausgehen, um Kundenbedürfnisse zeitgemäss abdecken zu können. Schlagen Unternehmen neue Wege aber allein ein, dann ist dies häufig mit der Investition von viel Lehrgeld verbunden. Es scheint deshalb nicht erstaunlich, dass sich Unternehmen nach Alternativen zu einem ressourcenintensiven Alleingang umschauen.

Ökosysteme bringen mehrere Unternehmen mit unterschiedlichen Skillsets zusammen. Was dem einen Unternehmen fehlt, bringt ein anderes mit und umgekehrt. Dabei ist es grundsätzlich egal wie gross oder klein, jung oder etabliert, bekannt oder fremd ein Unternehmen ist. Was zählt sind seine Fähigkeiten und die Relevanz dieser Fähigkeiten für das Ökosystem.

Ein grosses Aber gibt es jedoch noch zu klären. Man sollte nicht von einem Ökosystem sprechen, wenn ein einzelnes Unternehmen Leistungen bei einem anderen Unternehmen bezieht und diese in ihre Angebote einbaut oder damit verbindet. Das entspricht dem normalen Verlauf einer Wertschöpfungskette. Eine reine Lieferanten-Kunden-Beziehung lässt sich demnach nicht als Ökosystem qualifizieren, auch wenn häufig eine solche Beziehung medienwirksam auf diese Art und Weise beworben wird.

Trotz allem lassen sich in der Realität immer mehr «echte» Ökosysteme beobachten. So wurde gerade erst das Gesundheitsökosystem Compassana von Medbase, Hirslanden, Groupe Mutuel, Helsana und SWICA angekündigt. Dieses folgt etwas mehr als ein Jahr später auf das Ökosystem Well, welches von CSS, Visana, medi24 und der Zur Rose Gruppe entwickelt wurde. Beides sind junge Initiativen, deren Erfolgsgeschichte erst begonnen hat. Sozusagen die ersten zarten Pflänzchen, die von der wohlbehüteten Stube der Denker und Theoretiker ihren Weg in die Praxis gefunden haben und nun im zügigen Wirtschaftsalltag beweisen müssen, dass sie schnell genug Wurzeln schlagen können und Früchte tragen werden. Ob und inwiefern dies gelingen wird – wir werden sehen.

Es ist vorstellbar, dass Plattformansätze wie der Health Innovation Hub des Kantonsspitals Baden, welche ausschliesslich von einem zentralen Orchestrator geführt werden, sich gegenüber Ökosystem durchsetzen oder auch umgekehrt. Auf jeden Fall bleibt es spannend. Aber es scheint, dass nach fast 30 Jahren die akademische Fantasie der «Ökosysteme» langsam, aber sicher zu einer gelebten Realität werden könnte.

Ob «echte» Ökosysteme auch «echten» Nutzen generieren? Dieser Frage werden wir im nächsten Artikel unserer Serie zum Thema «Ökosysteme» auf die Spur gehen.