Rückblick 365 Tage: Was war Ihr «Main take away» aus dem letzten Jahr?

Der «Main take away» ist, dass im Gesundheitswesen nur gemeinsam Erfolge möglich sind. Als die Covid-Pandemie im Anmarsch war, haben wir uns auf kriegsähnliche Zustände eingestellt. Interdisziplinär, mit viel gegenseitigem Wohlwollen, auch über die Spitalgrenzen hinaus, haben sämtliche Mitarbeitende professionell mitgedacht und mitgeholfen, dass wir als Spital innert zwei Wochen auf den Ausnahmezustand vorbereitet waren. Die über lange Zeit angedauerte Hilfsbereitschaft weit über die Spitalgrenzen hinaus, hinterliess ein starkes Gefühl der Solidarität.

Erfreulich war denn auch, dass wir trotz der Covid-Pandemie, im Anschluss an dem vom Bund beschlossenen Lock-down, wesentliche Projekte wie die OP-Plattform konzipieren und umsetzen konnten. Wenn das erste halbe Jahr der Pandemie noch von Unsicherheit und «einfach funktionieren» geprägt war, folgte im Anschluss ein Hunger nach Veränderung bis hin zu einer Sättigung und latenten Unzufriedenheit.

«Applaus alleine genügt nicht», ist mittlerweile im Spital spürbar und der Ausgang der Pflegeinitiative wird die Mitarbeitenden-Zufriedenheit und den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen massgeblich mitbeeinflussen.

 

Urs Cadruvi

 

Wo sehen Sie 2022 die grössten strategischen Herausforderungen in Ihrer Branche und Ihrem Unternehmen?

  1. Digitale Transformation des Gesundheitswesens
  2. Fachkräftemangel und Zufriedenheit der Mitarbeitenden

Digitale Transformation des Gesundheitswesens
Der Wandel beginnt im Kopf und damit bei der Veränderung der Unternehmenskultur. Die Gesundheitsinstitutionen digital fit zu machen, wird zu einem zentralen Erfolgsfaktor. Gemäss Bertelsmann-Studie zum Digital-Health-Index, die 2018 in 17 Ländern durchgeführt wurde, belegen Deutschland und die Schweiz zusammen mit Frankreich und Polen das Schlusslicht in der Digitalisierung ihres Gesundheitswesens. In der Schweiz steht das elektronische Patientendossier vor der Einführung. In der ersten Implementierungsphase werden dabei die Spitäler dazu verpflichtet, EPDs anzulegen und aktiv zu bewirtschaften. Damit wurden die Spitäler gezwungen, Schnittstellen zwischen ihren Klinik-Informationssystemen und den EPD-Plattformen zu bauen, was der Digitalisierung einen wichtigen Schub verleihen soll. In einem zweiten Schritt sollen dann weitere Institutionen des Gesundheitswesens wie z.B. Pflegeheime und Spitex-Organisationen ans EPD angebunden werden. Offen ist noch, wann die Hausärzte dazu verpflichtet werden, das EPD einzusetzen. Gelingt dies nicht, wird die Digitalisierung in der schweizerischen Gesundheitsbranche weiter verzögert oder gar unterbrochen. Es gibt immer noch Hausarztpraxen die mit dem Faxgerät arbeiten, das gemäss dem Swiss eHealth Barometer 2021 in der Corona-Pandemie Hochkonjunktur erlebte.

 

Fachkräftemangel und Zufriedenheit der Mitarbeitenden
Die Motivation, insbesondere des Pflegefachpersonals, hat während der immer noch andauernden Pandemie-Durststrecke stark gelitten. Die Situation um den Fachkräftemangel spitzt sich damit weiter zu. Die Unzufriedenheit bei den Pflegefachkräften mit den aktuellen Arbeitsbedingungen wird immer spürbarer. Auch die Pflegeinitiative, ob sie nun angenommen wird oder nicht, wird wenig daran ändern. Die Covid-Pandemie hat sichtbar gemacht, was latent schon seit längerem am Kochen war. Mit «der Applaus allein genügt nicht» und der Pflegeinitiative wurden Erwartungen geweckt, für die unklar ist, ob sie je befriedigt werden können. Der tägliche Umgang damit in den Spitälern und Gesundheitsinstitutionen stellt eine grosse Herausforderung dar.

 

Was sind die neuen Herausforderungen an Führungspersönlichkeiten vor diesem Hintergrund?

Das Gesundheitswesen befindet sich in einer tiefgreifenden Transformationsphase, die noch lange andauert. Führungskräften stellen sich damit unter anderem folgende Herausforderungen:

  1. Offene, agile und selbstverantwortlich handelnde Unternehmenskultur entwickeln
  2. Mitarbeitende und ihre Potentiale wahrnehmen, individuell fördern und Langzeitperspektiven entwickeln
  3. Unternehmenskulturwandel professionell initiieren und begleiten
  4. Visionen für zukunftsfähige Lösungen im Gesundheitswesen entwickeln und dabei handlungsfähig im Tagesgeschäft bleiben
  5. Mitarbeitende für den nötigen Wandel im Gesundheitswesen gewinnen
  6. Umgang mit personellen Unterbesetzungen positiv bewältigen

 

Was sind nach Ihrer Meinung DIE zentralen strategischen Erfolgsfaktoren in den kommenden Jahren?

  1. Das Gesundheitswesen der Zukunft definieren und bauen (inkl. Grundversorgung in der Peripherie sichern)
  2. Mitarbeitende langfristig fürs Unternehmen gewinnen und Fachkräftemangel beheben
  3. Digitale Transformation bewältigen (politische Basis, die Innovation fördert -> z.B. Telemedizin)
  4. Kooperationen realisieren und wo es Sinn macht, zusammenwachsen